Von Wartezimmern und Wander(un)lust

~ 2024-11-10

400 Höhenmeter geschafft, 200 liegen noch vor uns. Ohne viel Gepäck und mit Wanderstöcken sollte das eigentlich kein Problem sein- oder? Zumindest für mich nicht, denn weder habe ich Verdauungsprobleme, noch muss ich gerade auf Kohlenhydrate verzichten – im Gegensatz zu Matthias. Trotzdem ließ ich mich erschöpft neben ihm im Gras nieder und wir überlegten, ob es die Aussicht wert ist, uns die letzten Höhenmeter in der Hitze noch hoch zu kämpfen. Die Mittagssonne verleitete uns dazu, die Pause im Schatten zu verlängern. Unser ursprünglicher Plan, zu diesem Zeitpunkt die Mehrtageswanderung im Abel Tasman Nationalpark zu bewältigen, war erstmal in weite Entfernung gerückt. Wie einige von euch vielleicht wissen, hat Matthias schon lange vor der Abreise mit Verdauungsproblemen und einem niedrigen Energielevel zu kämpfen gehabt und hat viele diagnostischen Tests und Behandlungen über sich ergehen lassen, teilweise mit Verbesserung der Symptomatik. Leider verschlechterte sich sein Zustand wieder, nachdem wir in Neuseeland angekommen waren. Als wir einige Wochen später noch die Ergebnisse der letzten Testungen aus Deutschland bekamen, folgten wir der Arztempfehlung, einen weiteren Test durchzuführen, denn scheinbar war die Ursache noch immer nicht behoben. Die Ergebnisse erhielten wir auf unserem ersten Roadtrip, von dem wir euch berichteten.

Zum Glück waren wir nicht weit von Christchurch entfernt und fanden schnell eine Klinik, die den empfohlenen Atemtest für SIBO (Dünndarmfehlbesiedlung) durchführen konnte. Die folgende Zeit fasse ich mal wie folgt zusammen: 8h Wartezeit in der Notfallaufnahme, um eine Überweisung für den Gastroenterologen zu bekommen, weitere drei Besuche zur Klinik, um die Atemtests durchzuführen. Glücklicherweise konnten wir mit unserem self contained Van Herbie auf einem der zahlreichen Freedom Camps in Christchurch stehen, teilweise direkt am Strand, um für die Testungen nicht allzu weit hin und her fahren zu müssen. Die Ergebnisse werden noch offiziell von einem Arzt ausgewertet, aber da wir den Termin erst Ende November haben und nicht untätig rumsitzen konnten, analysierten wir einige Studien und Auswertungstabellen. Unserer Recherche nach, könnte es ein Treffer und eine Erklärung für Matthias Zustand sein und er entschied sich, eine spezielle SIBO Diät zu beginnen. Zurzeit ernährt er sich nach einer strikten Tabelle eigentlich nur von bestimmtem Gemüse, Nüssen und Fleisch/Fisch/Eiern, um die Bakterien, die sich bei ihm vermutlich an falscher Stelle angesiedelt haben, auszuhungern. Eine ganz schöne Umstellung für uns, essen wir beide eigentlich seit mehreren Jahren keine tierischen Produkte mehr. Die Diät soll nur für 3 Monate durchgeführt und zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Antibiotika ergänzt werden, aber das weitere Vorgehen werden wir mit dem Arzt besprechen.

Die erste Woche der Ernährungsumstellung war für Matthias nicht einfach und zum Glück konnten wir mal wieder bei Liz und Tom unterkommen, da auch das Wetter teilweise nur zum Tee trinken und Bücher lesen einlud. So freiheitlich und abenteuerlich man sich das Leben im Van vorstellt, so ungemütlicher ist es bei Dauerregen, wenn man sich für den Toilettengang aus dem warmen Bett quälen muss. Für mich fühlte es sich teilweise an wie winter-blues, ich konnte den ganzen Tag schlafen und habe innerhalb kürzester Zeit ganze Bücher verschlungen (Buchempfehlung Wild von Cheryl Strayed). Die plötzliche Freiheit, den ganzen Tag keinen Verpflichtungen nachgehen zu müssen, überforderte mich auf eine Art, die ich von früheren Reisen kannte, die sich jetzt aber anders anfühlte. Ich dachte an meinen durchgetakteten Alltag in Deutschland und wie produktiv ich mich am Ende des Tages dort fühlte. Mittlerweile habe ich für mich herausgefunden, dass eine gewisse Routine, wie mit Yoga in den Tag starten, wichtig ist und ich diese trotz der wechselhaften Szenerien so gut es geht beibehalten mag.

Okains Bay auf der Banks Peninsula
Godleys Head Camping Platz ist nicht weit von Christchurch entfernt. Ein Idealer Ort um auf den Artztermin zu warten.
Godleys Head Wanderweg
Godleys Head Wanderweg

Nach einer Woche kam bei Matthias die erhoffte Umstellung und seine Energie nahm zu. Wir entschlossen uns die Zeit bis zum Arzttermin Ende November zu nutzen und machten den Van bereit für einen zweiten Roadtrip. Bis nach Nelson hoch, in den Norden der Südinsel, und dann mal schauen! Ich wollte unbedingt wieder Surfen gehen und bekam von Liz Nachbarn einen Surfguide für Neuseelands Strände. Wenn ich Glück habe, könnte ich direkt bei unserem ersten Stop in Kaikoura ins Wasser, doch stattdessen entwickelte ich eine Bindehautentzündung. Als Trost kaufte ich mir einen Surfhut und Matthias die für ihn “schönste Badehose, die er jemals hatte” (davor hatter er keine). Da das Schlafen auf den Freedom Camps mit einigen Limitationen einhergeht (man kann sich nicht richtig ausbreiten, Wäsche aufhängen etc.) war unser nächster Halt ein DOC (Department of Conservation) Campground. Da wir uns einen Pass gekauft haben, können wir auf den meisten DOC-Campingplätzen umsonst und (fast) solange wir wollen stehen. Einige sind sogar mit Warm-Wasser Duschen und Waschmaschine ausgestattet, andere haben nur ein Plumsklo. Mit verschiedenen Apps wie “Wiki Camps”, “CamperMate”, “Rankers” und “OsmAnd Maps” können wir alles finden, was man für das Reisen in einem Van braucht. Die Freedom Camps sind eingezeichnet und können kommentiert werden, sodass man neueste Infos von anderen Reisen zu dem Ort bekommt und kann selber Kommentare hinterlassen. Matthias markiert fleißig noch nicht eingetragene Orte wie Toiletten und Wasserstationen und so tragen wir dazu bei, dass Informationen aktuell und für alle zugänglich sind. Wie solche Orte in eine Online Karte eingetragen werden, wird Matthias bald in einem Blogeintrag beschreiben. (Übrigens hat er in zwei vorherigen Blogeinträgen über das Wiederaufforstungsprojekt Hinewai und unsere Problem mit der eingebauten Wasserpumpe berichtet.)

Kaikoura
Kaikoura
Kaikoura

Marfells Beach war ein direkt am Meer gelegener DOC Campground und wir blieben für einige Tage. Matthias hatte den Wunsch, Ballast abzuwerfen und bat mich, seine schönen, langen Haare auf 4mm abzuschneiden. Ich nötigte ihn dazu, wenigstens eine Nacht drüber zu schlafen, doch am nächsten Tag holte er den Rasierer raus. Das Ergebnis seht ihr in den Fotos (er ist immer noch happy mit der Entscheidung und ich kann zusehen, wie schnell Haare wachsen). Die Haare warf Matthias, so wie es die Monks in Bhutan machen, in den schönsten Fluss, den wir jemals gesehen haben; Pelorius River. Wir verbrachten einige Tage dort, gingen baden und wandern. Pelorius River ist wie viele Orte ziemlich bekannt. Den Tipp dort hinzugehen haben wir aber von Miriam Lancewood bekommen. Miriam hat mit ihrem Partner mehrere Jahre in der Neuseeländischen Wildnis gelebt und ein faszinierendes Buch (Woman in the Wilderness) darüber geschrieben.

Marfells Beach
4 mm
Pelorius River Campingplatz
Pelorius River
Pelorius River
Yogaspot

Zu dem Zeitpunkt waren wir schon so viel draußen, dass uns Nelson als größere Stadt überwältigte und wir spontan entschieden, dort nur einzukaufen und Kaffee zu trinken. Lieber wollten wir wieder raus in die Natur und fuhren noch am selben Tag südlich zu den Seen nach St. Arnauld. Das Fahren klappt mittlerweile ganz gut, nur bei steilen Bergen muss ich tief durchatmen und hoffen, dass wir hochkommen (was eigentlich immer ohne Probleme geht). Die Seen waren wunderschön, allerdings konnten wir sie nur in Bewegung bestaunen, da man bei der kürzesten Pause von hunderten von Sandflies heimgesucht wird. Die winzigen Fliegen sehen harmlos aus, beißen aber so fies, dass es noch Tage später wehtut. Wir unternahmen weitere Wanderungen und entschlossen uns aufgrund des schlechter werdenden Wetters, die berühmten “Hot Springs” aufzusuchen. Was gibt es schöneres, als bei grauem Nieselregen in der Sauna zu sitzen und sich in den Hot Pools mit Blick auf den Urwald aufzuwärmen? Ich unterhielt mich mit einer älteren Frau über die Wälder und sie beschrieb die Bindung der Kiwis zu der Natur mit den schönen Worten “The forests are our cathedrals”. Unser Aufenthalt bei den Maruia Hot Springs gehört aufjeden Fall zu einem meiner Highlights des Roadtrips.

Nelson Lakes - Wanderung im Moosland
Nelson Lakes - Eine weitere Wanderung
Cribbage
Maruia Hot Springs
Unsere Route

Heute sind wir wieder bei Liz und Tom eingekehrt, konnten Herbie einmal ordentlich reinigen und alles trocknen und werden uns in den nächsten Tagen auf den Weg in den Süden begeben – mit dem Ziel, Ende November ein aufklärendes Arztgespräch in Wanaka zu haben. Einige Must-Dos, wie der Abel Tasman Track bei Nelson, haben wir vorerst ausgelassen. Eineseits, weil Matthias sich fitter fühlen muss, andererseits, weil unsere lieben Freunde Tobi und Selma über Weihnachten für ein paar Wochen zu Besuch kommen. Gemeinsam werden wir weitere Teile der Südinsel und die Nordinsel erkunden, und die Vorfreude auf alles, was kommt, steigt! Es war vielleicht nicht der Start in das Neuseeland Abenteuer, den wir uns gewünscht haben, aber wir lernen, das Beste aus der Situation zu machen. Wir können trotzdem Land und Leute kennenlernen, auch wenn wir es gemütlich angehen und mehr Pausen einlegen. Die letzten 200 Höhenmeter der Wanderung haben wir auch in unserem Tempo dann noch geschafft und wurden mit einer wunderschönen Aussicht belohnt.

Bis bald und liebe Grüße nach Deutschland,

Matthias & Maike

PS: Weitere Eindrücke der Farm vor unsere Abreise

Farmfamily Dinner
Kuhflüsterer
Hazy und Maike glücklich vereint